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Donnerstag, 27. April 2017

Über das Ich-Sein

Ich muss sagen, es ist nicht besonders einfach, über das Ich-Sein zu schreiben, weil nun mal jeder etwas anderes darunter versteht. Das wiederum ist natürlich auf keinen Fall falsch, sondern genau richtig, denn man selbst zu sein, was auch immer das heißen mag, heißt auch, nicht so zu sein wie andere.
Eigentlich geht es jedoch grundsätzlich darum,  wie man man selbst sein kann. Wie schwer das Ich-Sein ist - für mich zumindest - und wie leicht man doch in Versuchung gerät, sich kompromisslos dem Mainstream anzuschließen
Ich vertrete die für mich weitgehend unumstößliche Meinung, dass jeder in jeder einzelnen Sparte des Lebens, ob Arbeit, Familie, Freizeit, Freunde oder anderes, individuell er selbst sein sollte. Konkret hieße das zum Beispiel, dass ich auf einer Party, während alle anderen sitzen, selbstverständlich und im Notfall auch alleine auf die Tanzfläche gehe und anfange, zu tanzen, einfach, weil ich gerade Lust dazu habe. Vielleicht ein schlechtes Beispiel, aber ich denke es wird klar, was ich meine.
Auch in meinem Aussehen, versuche ich, ich selbst zu sein. Wenn ich also eines Tages die Lust verspüre, meine Haarfarbe von Straßenköterblond in ein leuchtendes Pumucklrot zu ändern, dann mache ich das (oh ja, genau so ist es vor einiger Zeit passiert - schwupps, und plötzlich wurde aus Freya "Duracell", "Pumuckl" oder ganz einfallsreich auch "Feuermelder").
Noch ein anderes Beispiel ist auch die Art wie ich mich verhalte und vor allem auf andere wirken möchte. Ich habe so viele Bücher gelesen, so viele Filme gesehen, in den die Frauen und Mädchen so viele verschiedene Verhaltensweisen an den Tag legen, die ich dann (meist unbewusst) versuche zu kopieren. Ich schwanke oft genug zwischen dem klassischen "mysteriöses Mädchen-Getue" oder dem "netten Mädchen für alles" oder alternativ einfach der "gefühllose, fiese Stein". Es ist schwer, einfach man selbst zu sein und nicht zu versuchen, eine bestimmte Wirkung auf andere Menschen haben zu wollen, die gar nicht dem eigenen Wesen entspricht (wobei ich zugeben muss, dass das "Stein-Wesen" mir am nächsten kommt...).
Einfach gesagt heißt Ich-Sein für mich, sich nicht um die Meinung anderer Leute in Bezug auf einen selbst zu scheren. Ich richte mich nicht nach den Regeln der Gesellschaft und erwarte das von anderen Menschen genauso wenig (was besonders wichtig ist - alles andere wäre ja auch wirklich nichts als Heuchelei). Und ja, ich bin stolz darauf, zumindest teilweise zu wissen, was ich will, wer ich bin und wie ich das ausdrücken kann.
Aber das zu wissen ist ja leider Gottes nicht alles, sondern der größte Teil ist, dieses Ich-Sein anderen Leuten zu zeigen und die Theorie in die Praxis umzusetzen. Und das ist nicht einfach, das ist verdammt schwer. Ich habe keine intensive Recherche dazu durchgeführt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Mensch nicht nur ein Gewohnheitstier ist, sondern es sich vor allem liebend gern bequem macht und sich treiben lässt. Der Mensch will kein Lachs sein, er will sich nicht fortwährend anstrengen müssen, in seine eigene Richtung zu schwimmen, die gelegentlich auch mal entgegengesetzt dem Fluss sein mag (Betonung hierbei auf gelegentlich, ich will den Mainstream ja nicht direkt verteufeln). Manchmal heißt das leider Gottes auch, den Wasserfall, den man gerade hinuntergefallen ist, wieder versuchen hoch zu schwimmen. Denn es ist anstrengend.
Manchmal gehe ich dann durch die Stadt und merke, wie mich der ein oder andere im Vorbeigehen anstarrt, einfach, weil ich nicht so aussehe wie andere meines Alters (oder generell andere Menschen). Und ja, manchmal ist mir das unangenehm, ich bin schließlich auch nur ein Mensch, der nicht um jeden Preis Aufmerksamkeit und negative Bewertungen provozieren will.
Oder auch schon, wenn ich mich mit Bekannten unterhalte, jemand eine Meinung äußert und sich alle dieser anschließen. Natürlich bin auch ich kurz versucht, zu nicken und mich stumm und widerstandslos einer großen grauen Masse anschließen, weil das einfach leichter ist und ich es gewohnt bin.
Aber in diesen Momenten redet mir eine durchdringende, äußerst nervige Stimme in meinem Hinterkopf ganz mies ins Gewissen: "Freya, was hast du dir noch gleich geschworen? Ich denke nicht, dass es dabei darum ging, sich der Meinung hirnloser Spinner anzuschließen, um unangenehmen Kontroversen aus dem Weg zu gehen." Nun ja, vielleicht ist das nicht der genaue Wortlaut, aber ich bin mir sicher, dass dies der Intention der Stimme durchaus sehr nahe kommt. Und wenn ich diese Stimme höre, dann macht das etwas mit mir. Ich rufe mir ins Gedächtnis, dass es mir egal ist, was andere von mir denken. Dass ich ich selbst bin und mich niemand dafür zur Rechenschaft ziehen kann und dass ich zu meiner Meinung stehe, egal ob ich damit eins gegen eins stehe oder eins gegen hundert.
Ich muss mich immer, immer wieder selbst daran erinnern, mir selbst treu zu bleiben, und in den meisten Situationen erfordert diese ganze Chose auch wirklich Mut, aber man glaubt gar nicht, was einem das schlussendlich zurückgibt. Ein Gefühl des Triumphes, gemischt mit sehr viel Stolz und einem stetig wachsenden Selbstbewusstsein. Ich-Sein ist für das Selbstbewusstsein wie ein Energiedrink - ach was sag ich, eher wie ein Sixpack Energiedrinks für ein Kind mit ADHS. Für sich selbst einzustehen mag nicht besonders leicht oder angenehm oder bequem sein, aber wenn man Bequemlichkeit mal mit diesem ganz besonderen Gefühl vergleicht, dann ist für mich persönlich klar,  dass ich das Ich-Sein immer bevorzugen werde, egal wie mühsam das jedes verdammt einzelne Mal wieder ist.
Ich hab mich selbst gern und ich habe ehrlich gesagt kaum ein Problem, das in jeglicher Hinsicht jedem unter die Nase zu reiben, auch wenn das manchmal zu einigen Peinlichkeiten führt, ich damit gelegentlich etwas arrogant wirke und ziemlich oft damit nerve. Wer damit nicht klar kommt - Pech.
Heuchelei war noch nie so mein Ding, Ich-Sein wohl eher.